Kanon:
Wesentlicher Parameter eines Kanons ist die zeitlich versetzte Struktur einer sich wiederholenden Phrase bis zur Mehrstimmigkeit. Im Tanz kommt noch der Aspekt des Raums hinzu.
Auf der Bühne entstehen mehrere Dialog-Ebenen: Gesang mit live-Elektronik, Tanz mit Musik, Tanz mit Videobild, Videobild mit sich selbst und der Musik. (Photo: Ursula Kaufmann)
Lichtstreifen begrenzen den Aktionsraum und geben der Tänzerin Orientierung. Projiziert wird auf den Rückaushang. (Photo: Ursula Kaufmann)
Den Impuls für den ersten Versuch einer interaktiven Bildgestaltung gibt die Musikerin, Komponistin und Performerin Dorothée Hahne während der Proben zu „Rotlicht“.
INTERAKTIVINTERDISZIPLINÄR
ROTLICHT (2012) – das interaktive Konzept
Achtung Aufnahme! – dafür steht das Rotlicht in jedem Studio als visuelles Signal. Die Choreographin Henrietta Horn erforschte in ROTLICHT gemeinsam mit der Musikerin Dorothee Hahne den Klang von Bewegung, den Bewegungsimpuls von Klängen und den Dialog zwischen den Künsten und den Künstlerinnen. Ergänzt durch die Zusammenarbeit mit dem Licht- und Videokünstler Reinhard Hubert entstanden sieben Kurzstücke, die die Möglichkeiten des interaktiven Zusammenspiels von Bewegung, Klang, Licht und Video immer wieder neu erspüren und hinterfragen.
Einen Einblick in den Prozess der Komposition KANON gibt dieser Text.
Den Impuls für den ersten Versuch einer interaktiven Bildgestaltung gibt die Musikerin, Komponistin und Performerin Dorothée Hahne während der Proben zu „Rotlicht“.
In ihrer Komposition „Verborgene Spindel im Mond“ (Original: „Spindel im Mondlicht“ (2007) WV NR.89) singt Dorothée zu ihrer eigenen, live aufgenommenen Stimme und entwickelt so eine komplexe Struktur von bis zu vier übereinanderliegenden Stimmen, getragen und flankiert von einer Musik aus Spinnereimaschinen, Abflußrohr, Blindgängerbomben und Live-Elektronik. Ein vierstimmiger Kanon, gesungen von einer Person und einer Stimme.
Wäre es denkbar eine „vierstimmige“ Umsetzung für Solotanz zu entwickeln?
Im Dialog mit Reinhard Hubert, eigentlich Lichtdesigner, entwickelte sich der Gedanke die Bewegung über ein interaktives Videobild vergleichbar umzusetzen.
„Bei der Suche nach einer geeigneten Software entschied ich mich für „Isadora“ (nach Isadora Duncan benannt), programmiert von Mark Coniglio, Medienkünstler und Komponist. Der große Vorteil seiner Software (neben einem wirklich fairen Preis) ist ihr „node-based“, oder auch „visual-programming“ genanntes Design. Man muss nicht programmieren können, sondern verkabelt mit der Maus Funktionsblöcke.
Hat ein Lego-Feeling, ist dann aber im Detail so komplex wie das Thema es verlangt. Das Konzept für den Kanon war sofort klar: Tanz per Kamera rein, dreimal verzögert wieder raus. Klingt einfach, doch mit der Umsetzung entstehen viele Fragen und Hindernisse.“
Reinhard Hubert
Programmiert wird das zeitliche Delay der gefilmten Bewegung. Außerdem gilt in diesem Aufbau: Bewegung im Video wird nur sichtbar, wenn sich die Tänzerin bewegt. Keine Bewegung, kein Bild. Die Tänzerin wird als Silhouette sichtbar, dadurch entsteht eine abstrahierte, sich bewegende Figur.
Bühnenaufbau
Offene Bühne mit dunklem Rückaushang (Projektionsfläche). Die Musikerin steht rechts vorn am Bühnenrand, das Lichtpult befindet sich rechts seitlich der Bühne. Die Kamera steht vor dem Rückaushang in der Mitte der Bühne auf dem Boden. Sie filmt in Richtung Zuschauer. (Anmerkung: Ein umgekehrter Aufbau vom Publikum zur Bühne hin, würde sowohl die Tänzerin, als auch die Projektion filmen und so ein ständiges visuelles Feedback erzeugen.) Der Aktionsraum auf der Bühne ergibt sich durch den Bildausschnitt der Kamera, es entsteht ein sich zum Publikum hin öffnender Winkel. Der Aktionsraum ist vorn, entfernt von der Kamera, am größten und verengt sich mit zunehmender Nähe zur Kamera. Der Abstand zur Kamera definiert die Größe der projizierten Figur. Die Nutzung der Tiefe der Bühne spielt also eine große Rolle für die Wahl der gefilmten Bewegung und Projektion.
Lichtstreifen begrenzen den Aktionsraum und geben der Tänzerin Orientierung. Projiziert wird auf den Rückaushang. Um das Videobild nicht durch den Tanz zu verdecken, muss die Bewegung räumlich ständig verändert werden. Die Bewegung folgt der Phrasierung des Gesangs, so entsteht eine gleichzeitige Hör- und Sichtbarkeit des Kanons. Die Komposition der Bewegung erfordert viel Kopfarbeit. Räumlich und zeitlich braucht es Genauigkeit und Klarheit. Trotzdem geschieht alles im Moment.
Auf der Bühne entstehen mehrere Dialog-Ebenen:
Gesang mit live-Elektronik
Tanz mit Musik
Tanz mit Videobild
Videobild mit sich selbst und der Musik
Fragen im Prozess
Wo bewege ich mich wann? Welche Bewegung ergibt mit der vorherigen, die nun in der Projektion sichtbar ist, eine Art Dialog? Tanze ich mit meiner Projektion oder lasse ich die bis zu drei projizierten Figuren miteinander tanzen? Wann erzeuge ich Gleichzeitigkeit und wann Dialog? Habe ich noch die Kontrolle?
Das Stück endet mit Videobild und Klangaufzeichnung, wie ein Echo der vorangegangenen Live-Aufführung.
KANON
Ein Kanon. Gesang, der zu sich selbst singt. Tanz, der mit sich selbst tanzt.
Choreographie/Tanz: Henrietta Horn
Komposition/Klang: Dorothee Hahne
Licht/Pixel: Reinhard Hubert
Musik: „Verborgene Spindel im Mond“
4-stimmiger Kanon für Sopran, Spinnereimaschinen, Abflußrohr, Blindgängerbomben & Live-Elektronik Original: „Spindel im Mondlicht“ (2007) WV NR.89
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