Versuche zu KAISERKLEIDER
Erste Versuche einer erneuten Zusammenarbeit zwischen Bewegung, Bild und Klang beginnen bereits 2014. Beteiligt sind, wie bereits bei Rotlicht (2012), Henrietta Horn, Reinhard Hubert und Dorothee Hahne. Im gemeinsamen Interesse: Experimente und Forschung sowohl im komponierten, als auch im zufallsgenerierten künstlerischen Prozess und die Suche nach einer Bühnenkunst, die über die Begriffe Recherche, Improvisation und Interaktion hinausgeht.
Ist ein Klang gleich einer Bewegung, eine Bewegung gleich einem Bild? Welche Puzzlestücke fügen sich zusammen, was entsteht und was wird verworfen? Folgen wir einem Konzept oder wird der Weg auch hier vom Zufall bestimmt? Kann Zufall ein Konzept sein? Und ist der Zufall wirklich Zufall oder wird das ganze Geschehen nicht doch gelenkt?
Bewegung und Bewegtbild
Erste Versuche beschäftigen sich mit der Verbindung von Bewegung und Videobild. Bewegung wird gefilmt und digital verfremdet wieder sichtbar. Tanz mit sich selbst und doch mit einer fremden Person. Dialog? Abstraktion?
Ausgehend von den Raumrichtungen der Bewegung entwickelt der Videokünstler Reinhard Hubert ein Projektionsformat von vier Säulen auf dem Rückaushang. Dialog zwischen Video und Bühne entsteht.
Tanz und Video entwickeln sich eigenständig und zeitgleich im Dialog zueinander, auch die gefilmten Tänzerinnenfiguren folgen miteinander einer gemeinsamen Komposition.
In einer weiteren Entwicklungsstufe wird die gefilmte Tänzerin zu einer, bzw. vier abstrahierten Figuren, die mit sich selbst tanzen.
Klang-Zufall-Fragment
Ein weiteres Thema ist die Beschäftigung mit dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Eine Geschichte über Schein und Sein, über Illusion und Wahrheit, über Betrug und bittere Selbsterkenntnis. Der Text wird unterteilt in sinnfreie Abschnitte von einem zufallsgenerierten Computerprogramm, fragmentarisch gelesen von drei Akteuren, deren Berufung das Lesen nicht ist. Schein, Sein, Betrug, kann nicht jeder lesen?
Die Stimmen werden nach und nach verzerrt und live-elektronisch bearbeitet.
Text weicht Klang. Aus Sprache wird Musik, der Inhalt schwindet, neuer Kontext entsteht und fordert Reaktionen, Bewegung.
Durch zahlreiche finanzielle und organisatorische Hürden, muss der Prozess 2015 leider unvollendet abgebrochen werden.
Wiederaufnahme 2016
In der Wiederaufnahme 2016 beginnt ein verändertes Team erneut die Arbeit. Musikalisch werden Henrietta Horn und Reinhard Hubert jetzt von dem Musiker und Komponisten Frank Schulte begleitet.
Hinzu kommt ein neues Element, Tonbandmaschinen in unterschiedlichen Formaten und Entwicklungsstadien.
Dazu Frank Schulte:
Mir erscheint eine rein digitale Aufzeichnung in der Handhabung zu wenig haptisch – nachvollziehbar – da das Medium selbst relativ wenig erzählt.
Ich habe mich mit analogen Möglichkeiten beschäftigt und finde die Nutzung von unterschiedlichen Bandmaschinen auch mit eigenen Lautsprechern zunehmend spannend.
Das Bandmaterial an sich erscheint mir interessant da es Informationen enthält, die man nicht sehen kann, die altern und mit Magneten gelöscht werden können. – Zusätzlich kann man mit dem Band auch Linien im Raum erzeugen.
Also insgesamt einige Möglichkeiten das Klangmaterial auch installativ zu nutzen.
Zu dem Versuch die Bandmaschinen nicht nur akustisch, sondern auch in Form eines Bühnenbilds, mit weit ausgespannten Tonbändern, einzusetzen, gesellt sich außerdem die Idee ein weiteres Zufallsmoment einzubinden. In der Versuchsanordnung bei Proben auf PACT Zollverein baut Reinhard Hubert das Modell eines übergroßen, raumfüllenden Mobilés, welches sich während des Stücks auf unvorhersehbare Weise bewegt. Zwei große Projektionsflächen bewegen sich kreisförmig und kreisen zusätzlich auch um sich selbst. Der tänzerische Bewegungsraum bleibt unberechenbar, die Projektion erzeugt unerwartbare Bilder, je nach Position des Mobilés.
Nach wenigen Tagen Probe ist die Bühne voll, übervoll. Neun Tonbandgeräte, teils mit zusätzlichen Mikrophonen. Tonbänder, die sich über große Entfernungen spannen und den Raum durchtrennen. Dazu ein Mobilé mit unvorhersehbarer, großer Raumbewegung. Das alles immer wieder neu inszeniert durch eine Projektion, deren Bilder sich durch die unterschiedlichen Ebenen ständig neu komponieren.
Eine eindrucksvolle Installation.
Warum also noch tanzen? Und wo?
Die Frage nach der Ausgewogenheit der verschiedenen Künste ist schwer zu beantworten. Eine Tänzerin ist eben „nur“ eine Tänzerin, ein Mensch. Im Kontext dieser großen Installation notwendig? Sichtbar?
Und warum sollte das Publikum nur zusehen? Wäre es für die Zuschauer*innen nicht reizvoll sich selbst in diesem Raum zu bewegen, ihn selbst zu erfahren, zu erkunden, zu erleben? Allein die sich bewegende Bodenprojektion ist faszinierend und herausfordernd.
Der erschaffene Raum ist großartig, aber für Solo-Tanz geeignet?
Ein wichtiges Thema. Was können wir gemeinsam schaffen? Wie stellen wir Balance zwischen den Künsten her?
Die Bühne wird wieder leergeräumt. Allerdings finden die Bandgeräte einen wertvollen Platz. Die Idee der Installation wird im Foyer der Bühne von Frank so umgesetzt, dass die Zuschauenden vor dem Betreten des Theaters durch eine Klanginstallation gehen, die sie auf das kommende Stück einstimmt. Außerdem gibt es an manchen Bandgeräten die Möglichkeit selbst zum Klang beizutragen und den Text des Märchens mit der eigenen Stimme in die Maschinen einzulesen.
KAISERKLEIDER kam am 28.Oktober 2016 auf pact zollverein zur Uraufführung.
Der Entwicklungsprozess hat insgesamt weit mehr als zwei Jahre gedauert und war eine intensive und aufregende Reise mit unzähligen Fragen, Möglichkeiten, Unmöglichkeiten, Irrwegen und Entdeckungen. Ich danke allen Beteiligten für die gemeinsame Zeit und die unerschütterliche Freude und Lust am Experiment selbst. Nicht alle Beteiligte waren an der Uraufführung 2016 beteiligt. Ich führe hier alle am Prozess beteiligten Personen auf.
Tanz, Konzept und Choreographie: Henrietta Horn
Licht, Bühne, Video: Reinhard Hubert
Musik, Klang, Sound: Dorothée Hahne und Frank Schulte
Installation: Frank Schulte
Kostümberatung und -begleitung: Margit Koch
Organisation, Management: Claudia Lüttringhaus, Alexandra Schmidt
Begleitung und Beratung: Sabina Stücker