Prallen 2003 | UA

Eine Choreographie für das Folkwang Tanzstudio
Inszenierung für acht Tänzerinnen und Tänzer

Tanz und Medienkunst – zwei Kunstgattungen, die einander inspirieren und bereichern. Mit diesem Abend gehen Henrietta Horn und Dietrich Hahne neue Wege in ihrer künstlerischen Arbeit: die Auseinandersetzung mit einem „fachfremden” Medium vor dem Hintergrund ihrer eigenen Kunst. So verwendet die Choreographin Henrietta Horn erstmals das Medium Film/Video in ihrer Arbeit und der Medienkünstler und Komponist Dietrich Hahne arbeitet zum ersten Mal mit choreographischen Elementen. Entstanden ist ein zweiteiliger Tanzabend, dessen Stücke unterschiedlicher nicht sein könnten.

„Auch Georgien liegt am Meer” von Dietrich Hahne lässt Erinnerungen an vergangene Sommeridyllen wach werden: Wellen tanzen, Sand rieselt über Dünen und Dünengras weht im Wind. Bilder von Menschen erscheinen, verschwimmen ins Diffuse, entheben sich selbst der Realität. Der weiß ausgeschlagene Bühnenraum fungiert als Projektionsfläche für die computergenerierten Bilder, ebenso wie die hellen Kostüme der Tänzerinnen und Tänzer. Sie selbst werden in ihren Bewegungen Teil dieser Bilder, fügen sich ein oder stehen deutlich im Kontrast. All das wird von einem Klangteppich begleitet, der sich kongenial den Bildern auf der Bühne anpasst.

„Der Hahn ist tot” von Henrietta Horn kommt federleicht daher. In skurrilen und zum Teil schrägen Bildern nimmt sie Aspekte der deutschen Bürgerlichkeit ins Visier: so tanzen Dackel auf der Bühne, Sport spielt eine nicht unwesentliche Rolle, ein Huhn stirbt und wird verspeist und das alles eingerahmt von dezenten Streifentapeten.

Geradezu spielerisch lässt Henrietta Horn den Film zur Kulisse werden, lenkt mit ihm das Augenmerk des Zuschauers auf ein besonderes Detail, oder erzählt ganz einfach eine kleine, aber feine Geschichte. Die Tänzer bewegen sich zwischen Bühne und Film und treten in Interaktion mit den Bildern. Mit leichter Hand verwebt Henrietta Horn die Elemente Film, Tanz, Musik und Schauspiel zu einem höchst unterhaltsamen, kurzweiligen Stück.

„Prallen” ist eine Koproduktion des Folkwang Tanzstudio (FTS) und des Institut für Computermusik und Elektronische Medien (ICEM)

Inszenierung und Choreographie:
Henrietta Horn
Musik/Video:
Dietrich Hahne
Tanz:
Tanja Berg, Lisa Brus, Jae Won Oh, Francesco Pedone, Erika Pico, Franko Schmidt, Nandini Thomas, Soo-Yin Yim Heil, Manuel Quero
Kostüme:
Anne Bentgens
Dackeldarsteller:
Schlingel, Viktor, Roxy
Lichtdesign, Technische Leitung:
Reinhard Hubert
Musik- und Geräuscherecherche, Tontechnik:
Thomas Wacker
Musik:
Flat Earth Society, Fischer & Maltz, Gerhard Trede, Benny Goodman „Der Hahn ist tot”
Klavier und Bearbeitung:
Patti Martin
E-Bass und Percussion:
Jorge E. Vallejo
Tonaufnahme:
Arthur Jogerst
Produktionsbetreuung/Presse- und Öffentlichkeitsarbeit:
Claudia Lüttringhaus

Spieldauer:
33 Minuten
Uraufführung:
5. Juni 2003

Gefördert durch:
Kulturbüro der Stadt Essen, Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes NRW, Sparkasse Essen.

„Prallen” ist eine Koproduktion des Folkwang Tanzstudios und des Instituts für Computermusik und Elektronische Medien (ICEM) der Folkwang Hochschule Essen.

Ausgewählte Pressetexte

Andreas Meyer – tanzjournal 4/03

Von Welle zu Dackel

Neue Stücke beim Folkwang Tanzstudio

Die Mischung von Tanz und Medienkunst ist nicht neu. Aber sie birgt durchaus noch Überraschungen, wie das Essener Tanzstudio (FTS) mit seiner neuesten Produktion unter Beweis stellte. „Prallen. Tanz – Komposition – Medien” heißt der Abend, der aus zwei Teilen beseht und eine Kooperation zwischen FTS und dem Institut für Computermusik und Elektronische Medien ist. Den ersten Teil, „Auch Georgien liegt am Meer”, entwickelte Medienkünstler und Komponist Dietrich Hahne, den zweiten mit dem Titel „Der Hahn ist tot” FTS-Choreographin Henrietta Horn. Ungewöhnlich an diesem Projekt ist, dass beide Künstler in dieser Produktion erstmals „fachfremde” Medien in ihre Kunst einflochten. Hahne den Tanz und Horn den Film. Die Ergebnisse hätten unterschiedlicher nicht ausfallen können.

„Auch Georgien liegt am Meer” ist ein Stück über die Erinnerung. Die Szene zeigt ein Paar, sie in einem roten Kleid, er im Anzug. In den weiß ausgeschlagenen Bühnenraum und auf die ebenfalls weiß gekleideten restlichen Tänzer werden Sequenzen vergangener Urlaubsidyllen projiziert. Italien, Dänemark, Dünen, Wellen. Nach und nach wird das Paar Teil seiner eigenen Erinnerung. Im Mittelteil der Choreographie trägt es weiße Kleider wie das restliche Ensemble, wird zur sich bewegenden Projektionsfläche und somit in den Film gesogen. Zum Schluß spuckt die Erinnerung das Paar wieder aus. Vor den verschwommenen Konturen des Films steht die Frau in Rot. Das Problem oder – je nach Blickwinkel – der Vorteil dieses Stücks, ist, daß der Film deutlich dominiert. Die Musik, ebenfalls von Hahne komponiert, paßt kongenial zu den Bildern.

… Ganz anders Horns „Der Hahn ist tot”. Der Handlungsfaden – ein Hahn wird abgeschossen und zu einem Mahl verbraten – ist zwar nur ein dünnes Fädchen, doch das macht nichts. Denn er ist Auslöser für eine skurrile Revue mit Szenen aus dem bürgerlichen Spießerleben. In schicken Anzügen und Kostümen geben sich die hervorragenden Tänzer des FTS anfangs pantomimisch der Freude und der Wut eines Fußballpublikums hin. Im Lauf der Choreographie konzentriert sich das Geschehen auf zwei Komponenten: schauderhafte Streifentapeten und Dackel. So wird eine Art Familientreffen im Streifentapetenzimmer zu einem kommentierten Sportereignis, bei dem die Protagonisten auf ihren Kleidern das gleich Streifenmuster der Tapete tragen. Reizvoller Höhepunkt ist indes eine schwingende Dackelpolonaise, die genau zur Musik geschnitten und gefilmt über die Leinwand im Hintergrund läuft, während sich ein Tänzer nach und nach den Dackelschritten anpasst und sich schließlich in die Dackelpolonaise einfügt. Das ist nicht nur raffiniert gemacht, es ist vor allem tatsächlich komisch. Was an „Der Hahn ist tot” überzeugt, ist Horns unverkrampftes, lockeres Spiel. Sie formt die Elemente Film, Tanz, Musik, Schauspiel zu rund 30 unterhaltsamen Theaterminuten und zeigt eine Seite, die bisher von der Choreographin in dieser Art nicht zu sehen war.

Dagmar Schenk-Güllich – NRZ, 9. Juni 2003

Mit neuen Mitteln

In der Neuen Aula stand jetzt die Premiere von „Prallen” auf dem Programm. Das Folkwang Tanzstudio präsentierte einen Zweiteiler, der Kühn mit neuen Mitteln spielt.

Der Computer ist als Hauptwerkzeug bei den beiden Stücken eingesetzt. Aber es entsteht keine Kunst, der man es ansieht. Im Gegenteil, es ist ein Abend, der aufregend menschlich abläuft. „Auch Georgien liegt am Meer” heißt das erste Stück, bei dem sich der Komponist Hahne von Ingeborg Bachmanns Gedicht „Böhmen liegt am Meer” hat beeinflussen lassen.

Filmische Szenen werden manipuliert. Auf der Riesen-Leinwand im Hintergrund wabern Gesichter und Gestalten aus Hahnes Urlaub. Davor bewegt sich in strenger Formation Henrietta Horns Crew.

Arme werden bis zur Erschöpfung geschleudert, man schmeißt sich auf den Boden. Irgendwann ist alles Rot, dann in Grün getaucht. Die großen, Computer-generierten Klänge überrollen die Tänzer und Zuschauer. Musik, Bewegung, Klang treiben sich gegenseitig an. Choreographie und Komposition sind mit sicherem Gespür für theatralische Effekte aufeinander eingegangen.

Bettina Trouwborst – WZ, 7. Juni 200

Kaum wieder zu erkennen

Ein wunderbarer Tanzabend: Henrietta Horn inszeniert höchst komisch „Der Hahn ist tot”

Federleicht gibt sich das neue Tanzstück „Der Hahn ist tot” der Leiterin des Folkwang Tanzstudios Henrietta Horn, das mit einer Arbeit des Medienkünstlers und Komponisten Dietrich Hahne Uraufführung in der neuen Folkwang Aula feierte. Henrietta Horn, nach wie vor einer der wenigen Erfolg versprechenden deutschen Nachwuchschoreografinnen, ist kaum wieder zu erkennen.

Das liegt nicht daran, dass sie erstmals mit dem Medium Video arbeitet. Bislang bekannte sie sich zum reinen Tanz in bewährter Folkwang-Tradition, lieferte ruhige, nochmusikalische Konzentrate ab. Diesmal inszeniert sie ein bewegtes „Lustspiel der bürgerlichen Art”. Vor lauter Übermut verwandelt sich die exzellente Compagnie in einen Hühnerhaufen. Die Künstlerin beweist ein erstaunliches inszenatorisches und komisches Talent – auch wenn’s mitunter ein Balance-Akt zur Albernheit ist.

Michael Kohlstadt – WAZ, 7. Juni 2003

„Der Hahn ist tot”

Auch Ensemblechefin Henrietta Horn arbeitet mit Videos. Sie folgt dem Modetrend nicht nur stur, sondern verknüpft dieses Medium kongenial mit dem Tanz. In ihrem höchst amüsanten Stück „Der Hahn ist tot” geht es natürlich um Tiere. Henrietta Horn lässt ihre bravouröse Truppe mit übergroßen Dackeln auf der Leinwand tanzen- einer von vielen herrlichen Einfällen der jungen Choreographin, die sicher zu den talentiertesten in Deutschland zählt.

PRINZ Ruhrgebiet, Juli 2003

Von Wellen verschluckt

Eine Reihe schwingender Video-Dackel und ein echter Tänzer im Hundegleitschritt: Diese Polonaise ist der schräge Höhepunkt des Stückes „Der Hahn ist tot”. Henrietta Horn gesteht: „Eigentlich fand ich Dackel bisher nicht besonders attraktiv.” Die Leiterin des Folkwang-Tanzstudios in essen hat das bemerkenswerte Talent, aus Dingen, die ihr nicht besonders am Herzen liegen, wunderbare Choreographien zu formen. Bereits vor zwei Jahren gelang ihr mit „Lakenhal” ein bestehendes Flandern – Porträt, ohne zuvor glühender Fan dieses Landstrichs gewesen zu sein. Jetzt also Dackel. In „Der Hahn ist tot” spielt die Choreographin ebenso locker wie skurril mit den Elementen Film, Tanz, Musik und Schauspiel. Das Ergebnis: rund 30 unterhaltsame Theaterminuten über drei Fundamente bürgerlichen Lebens: Hunde, Sport und Streifentapeten.

Horns turbulente Revue bildet den Abschluss des Tanz und Videoabends „Prallen”, den das Folkwang-Tanzstudio (FTS) zusammen mit dem Institut für Computermusik und Elektronische Medien (ICEM) entwickelte. Den Anfang macht „Auch Georgien liegt am Meer”, ein Stück des Komponisten und Medienkünstlers Dietrich Hahne. Dabei wird ein Paar nach und nach Teil seiner eigenen Erinnerung. Filme vergangener Urlaubsidyllen laufen durch den weiß ausgeschlagenen Bühnenraum. Italien, Dänemark, Wellen, Dünen. Die Tänzer, ebenfalls hell gekleidet, geraten als lebende Projektionsflächen unweigerlich in den Sog einer mächtigen Bild- Ton- Performance.