Ein Starkes Stück
Jochen Schmidt – Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Oktober 1999
Henrietta
Horns neues Tanzstück „Solo” handelt von der Einsamkeit und wie frau
damit fertigzuwerden versucht. Das Stück, uraufgeführt im Theater der
Stadt Remscheid, benötigt zwei wichtige „Requisiten”, einen kleinen
quadratischen Holztisch und einen hölzernen Stuhl. Anfangs steht der
Stuhl dicht hinter dem Tisch, und die Tänzerin, Henrietta Horn selbst,
nimmt an ihm Platz. Eine kurzatmige Streichermusik setzt immer wieder
neu an und schlägt tiefe Schneisen in die schwere Stille. Wie ein
aufdringlicher böser Gedanke umschwirrt sie die Tänzerin, die lange
still mit dem Gesicht zum Publikum dasitzt. Dann legt sie den Kopf auf
die Hände auf dem Tisch, setzt sich ruckartig wieder aufrecht hin,
knickt wieder ein Richtung Tisch. Ihre Bewegungen sind fahrig, als habe
sie ein schlechtes Gewissen und sitze jemandem gegenüber, vor dem sie
sich zu verantworten habe. Aber wenn es so wäre, kann es allerdings nur
die allerhöchste Instanz sein.
Nach
einer Weile erhebt sich Horn und trägt den Stuhl weiter in den
Hintergrund. In diesem Abschnitt des Stücks bewegt sie sich auf einer
Linie zwischen Tisch und Stuhl wie unschlüssig, was zu tun sei. Und am
Ende, nachdem sie verschiedene Entfernungen zwischen den beiden
Gegenständen ausprobiert hat, bringt sie den Stuhl zum Tisch zurück. Am
Rande der Bühne legt sie Jacke ihres blassgrünen Hosenanzugs (Kostüm:
Anne Bentgens) ab. Zu einer introvertierten Streichermusik tanzt sie
jetzt in der Bühnenmitte mit abrupten Bewegungen , eine überschlanke,
hochgewachsene Figur. Einerseits scheint sie etwas aus sich
herauspressen zu wollen. Andererseits bremst sie sich immer wieder ab
und ruft sich zur Ordnung. Großen Schwung kann ihr Tanz auf diese Weise
nicht bekommen.
Schließlich
stellt sie den Stuhl so weit wie möglich vom Tisch entfernt auf die
andere Seite der Bühne. Doch Stuhl und Tisch gehören zusammen. Und so
drückt Horn den Tisch tanzend ganz langsam und mit kleinen, vorsichtigen
Bewegungen, parallel zur Rampe quer über die Bühne Richtung Stuhl; wenn
sie Stuhl und Tisch wieder annähernd zusammengebracht hat, ist das
Stück – nach gerade mal 25 Minuten – zu Ende. (…)
In dieser Zeit entwickelt die Choreographin eine perfekte, anrührende, vor Spannung vibrierende Studie der Einsamkeit; eine Menge Menschen in dieser Gesellschaft, nicht nur alte, befinden sich in einer ganz ähnlichen Situation. In einem von Sozialbeziehungen leerer Raum ist sie zurückgeworfen auf sich selbst; wenn sie nicht wahnsinnig werden will, muß sie in einen Dialog treten mit den toten Gegenständen, die sie umgeben. Tisch und Stuhl werden beinahe lebendig und zu Ersatzpartnern, mindestens auf Zeit. Ein fröhliches Geschehen ergibt das nicht. Aber ein starkes Stück Tanz.
Grandioses Monodrama
Klaus Matthias Schmidt – Rheinische Post, 1. Oktober 1999
Und es packt die Zuschauer von Beginn an, dieses Solo von Henrietta Horn. (…) Ungeheure Spannung liegt über der Szene, die ein Rückblick zu sein scheint, eine getanzte Erinnerung an eine vergebliche Liebe. Und die Horn durchtanzt diese Erinnerung, um sich – wie es scheint – am Ende von ihr zu befreien. Viel Applaus für dieses grandiose Monodrama.
Tänzerischer Dialog
Bettina Trouwborst – Westdeutsche Zeitung, 1. Oktober 1999
(…) Der
Tisch wird zum magischen Symbol der Angst, mit befremdlicher Distanz
betrachtet, dann, in Extase, wird er zum leidenschaftlich geliebten Fetisch.
Horns tänzerischer Dialog mit Tisch und Stuhl ist ein aufwühlendes Duett mit
der Vergangenheit, ein Solo von ungewöhnlicher Intensität und tänzerischer
Qualität.
Spannung
Nirwan Dewantos – Kompas, 2. November 2001, Jakarta
Die 25-minütige
Aufführung schafft es, den Zuschauer mitzureißen. Alle warten gespannt darauf,
was die Tänzerin unternehmen wird, um die Leere der Bühne auszufüllen. (…) Ihre
Choreographie braucht keine spektakuläre Musik, keine Lichteffekte und keine
extravagante Bühnenverzierung. Die Kunst ihres Tanztheaters liegt in der
Bewegung, in der Befreiung.
„Solo”
(M.F.) – Hamburger Abendblatt, 12. April 2002
(…) Ihr „Solo”, eine beklemmende Studie der Einsamkeit, schöpft aus
Expressionismus und Stummfilm-Elementen, aber sie splittert und bricht sie
tänzerisch radikal auf. Diese Frau, allein mit sich, einem Tisch und einem
Stuhl, sucht stumme Zwiesprache mit toten Gegenständen, um nicht durchzudrehen.
Rastlos verzweifelt mahnt sie sich zu starrer Ruhe, aber ihre Verlorenheit
überwältigt sie: Die Arme sehnsuchtsvoll hoch aufgereckt, wird sie vom Dunkeln
verschlungen. So konzentriert wird das Gefühl von Einsamkeit selten vermittelt.