Eine Produktion von Henrietta Horn (Choreographie), Reinhard Hubert (Licht und Video) und Frank Schulte (Sound)
Nach ihrer Choreographie „Rotlicht“ setzt sich Henrietta Horn erneut mit der Frage der genreübergreifenden Kunst auseinander.
In „Kaiserkleider“ treffen Henrietta Horn, der Klang- und Medienkünstler Frank Schulte und der Video- und Lichtkünstler Reinhard Hubert mit ihren unterschiedlichen Medien aufeinander. Treffpunkt der drei ist ein Märchen von Hans Christian Andersen: Des Kaisers neue Kleider.
In „Kaiserkleider“ geht es weniger um die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Märchen. Vielmehr geht es um Lüge und Wahrheit, um listigen Betrug und eine wahrhaft kaiserlichen Pleite. Die Moral erschließt sich von selbst, Mittelpunkt ist eher das Hintergründige der Geschichte und der Text an sich. Durch zufälliges Wiederholen und Betonen einzelner Passagen und Worte wird der Text in einen immer wieder neuen Kontext gestellt, das gelesene Wort wird die Grundlage der musikalischen Gestaltung sein und der Text die Grundlage für die Bewegung.
Die drei Künstler suchen nach Strukturen in Chaos und Ordnung, fragen nach Themen wie Sein und Schein, selektiver oder objektiver Wahrnehmung und erforschen immer wieder die Frage nach den künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten im zufallsgenerierten Geschehen.
Lässt man dem Zufall im Bühnengeschehen freien Lauf, entsteht dann Chaos? Die Chaosforschung beschreibt das Chaos als einen Zustand, der keinen erkennbaren Regeln folgt, in dem sich kein Muster erkennen lässt. Deshalb ist das totale Chaos für die Chaosforschung eigentlich uninteressant – sie interessiert sich vielmehr für die Ordnung im vermeintlichen Chaos oder eben auch für den Übergang von Ordnung zum Chaos.
Ebenso wie für die Chaosforschung ist auch für eine Bühnenarbeit das totale Chaos uninteressant. Es stellt sich allerdings die Frage, ob das totale Chaos auf einer Bühne überhaupt möglich ist. Wie kann man totales Chaos, das Vermeiden jeder Ordnung überhaupt erreichen? Ergäbe sich, selbst bei konsequentem Chaoswillen, nicht doch irgendwann eine Art Ordnung?
Und was hätte man, selbst bei gelungenem Experiment erreicht, abgesehen vom totalen Chaos?
Dem totalen Chaos zuzusehen ohne jegliche erkennbare Ordnung dürfte selbst den hartgesottensten und neugierigsten Zuschauer nach einer Weile zum Verlassen des Raumes bewegen. Das Chaos wird interessanter, wenn sich im „vermeintlichen Chaos“ möglicherweise doch etwas erkennen lässt, eine kleine, leise Spur der Ordnung zu erahnen und zu verfolgen ist. Damit wird das Chaos zum „vermeintlichen Chaos“ und kann nun zum Untersuchungsgegenstand sowohl für Chaosforscher als auch für die Bühne werden.
Vielleicht kann man das „vermeintliche“ Chaos als einen Zustand der Reizüberflutung beschreiben, eine Überforderung der Sinne, in der die Ordnung nicht mehr offensichtlich erkennbar ist.
„Kaiserkleider“ befasst sich mit Erwartung und Wahrnehmung, hinterfragt, fordert und trennt, beim Zuschauer wie bei den Akteuren. Sparten werden getauscht, Aufgaben neu verteilt. Ist das transaktive Kunst oder Dilettantismus? In der konzentrierten Atmosphäre des Theaterraums entsteht, was sich sogleich wieder verwirft, weil es sich hinterfragt und untergräbt.
Konzept, Choreographie, Tanz: Henrietta Horn
Sound: Frank Schulte
Licht- und Video: Reinhard Hubert
Management: Alexandra Schmidt
Uraufführung: 28./29.10.2016
Eine Produktion von Henrietta Horn, koproduziert von pact zollverein, gefördert durch das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, das Kulturbüro der Stadt Essen, die Baedeker Stiftung und die Sparkasse Essen.