Eine Koproduktion des Folkwang Tanzstudios und der musikfabrik NRW
Eine Kammeroper von Akria Nishimura
Akira Nishimuras musikalisches Bühnenwerk „Eshi der Maler” basiert auf der 1918 entstandenen Novelle „Jigokuhen” (Die Qualen der Hölle) von Ryûnosuke Akutagawa (1892-1927), einem der profiliertesten japanischen Schriftstellern des frühen 20. Jahrhunderts. Akutagawa wählte seine Stoffe vorzugsweise aus Geschichten- und Legendensammlungen des japanischen Mittelalters, die er jedoch modern mit einem ausgeprägt psychologischen Einfühlungsvermögen zu interpretieren und als eindringliche Allegorien auszugestalten verstand. In „Jigokuhen” verdeutlicht er am Schicksal eines genialischen Malers die verheerenden Folgen eines übersteigerten Künstlertums, das die Kunst über das Leben stellt.
Akira Nishimura hat Akutagawas Novelle für das Textbuch seines
Bühnenwerks komprimiert und auf acht Bilder mit wenigen kurzen Dialogen
aufgeteilt. Dabei hat er im Bemühen um größere Eindeutigkeit nicht nur
die Charaktere der beiden Protagonisten kräftig nachgezeichnet, sondern
teilweise auch die Motivationen ihres Handels uminterpretiert.
Kompositorisch hat Nishimura sein Bühnenwerk „Eshi” für ein kleines,
siebenköpfiges Instrumentalensemble mit einer Solo-Sängerin konzipiert
und sich dabei bewusst am traditionellen japanischen
Bunraku-Figurentheater orientiert.
Das Bunraku-Theater – es zählt zu den drei klassischen Bühnenkünsten
Japans – fasziniert durch ein ungemein differenziertes Puppenspiel. Die
bis zu anderthalb Meter großen Figuren werden in der Regel von jeweils
drei Spielern gleichzeitig geführt, die für das Publikum offen sichtbar
mit auf der Bühne agieren, jedoch aufgrund ihrer schwarzen Kleidung als
nicht existent gelten.
Eine Besonderheit ist, dass die Puppenspieler während der Aufführung
stumm bleiben und den Vortrag aller Monologe und Dialoge dem tayû, einem
Sänger-Rezitator überlassen, der von einem zweiten Musiker auf der
3-saitigen shamisen- Laute begleitet wird. Der Reiz einer
Bunraku-Darbietung liegt darin, wie der Sänger-Rezitator eine Szene
unter Einsatz aller denkbar stimmlichen Mittel aus der Perspektive
sämtlicher auftretender Figuren differenziert und psychologisch
glaubhaft zu vermitteln versteht und so das Puppenspiel zu einem großen
dramatischen Musiktheater werden lässt.
In „Eshi” hat Nishimura in ähnlicher Weise alle Dialoge und Monologe
der Figuren einer einzigen Sängerin übertragen. Ihre Stimme wird zum
alleinigen Medium des Ausdrucks der psychischen Verfassung der Figuren
und muss daher über eine große Modulationsfähigkeit und
Differenzierungskunst verfügen. Wie der tayû im Bunraku- Theater, so hat
auch diese Sängerin keinerlei unmittelbare schauspielerische Aufgaben.
Sie bleibt außerhalb der Bühne.
Die szenische Darstellung in „Eshi” wird von sieben Tänzern
übernommen, die wie die Figuren im Bunraku-Theater pantomimisch-stumm
agieren. Ihr Körperausdruck soll sich – wie der Komponist ausdrücklich
verlangt – an den kunstvoll choreographierten, zum Teil stilisierten
Bewegungsmustern der Bunraku-Figuren orientieren.
Anders als im
Bunraku-Theater befinden sich Tänzer und Musiker gemeinsam auf der
Bühne, wobei die Tänzer zwischen den Musikern agieren. Bewegungen von
Tänzern und Musikern sind so in unmittelbare Nähe gerückt und
beeinflussen sich gegenseitig auf engstem Raum.
Darstellerisch konzentriert sich der Tanz auf die Hauptfiguren, wobei
jeweils zwei Tänzer die Darstellung einer Person übernehmen. Ein Tänzer
ist die Person selbst, der andere Tänzer übernimmt die Rolle des
Puppenspielers und beeinflusst mal aktiv, mal passiv die Bewegungen des
Darstellers.
Der Einfluss des Bunraku-Theaters ist aber auch auf der
musikalischen Ebene wirksam. Anstelle der vielseitigen shamisen-Laute,
die im Bunraku zu allerlei Klangeffekten eingesetzt wird, übernehmen
Flöte, Klarinette, Klavier, Schlagzeug, Violine, Viola und Cello, nicht
selten solistisch eingesetzt, die musikalische Unterstützung des
Vokalparts. Nishimura hat sich bei seiner Komposition – nach eigenem
Bekunden – aber auch von der Klangwelt des japanischen Nô-Theaters
inspirieren lassen, jener älteren Form des Schauspieltheaters, das
musikalisch von einer schrillen Querflöte und drei Trommeln bestimmt
wird.
Die Musik entwickelt sich grundsätzlich linear, was schon in der
syllabisch-rezitativischen Struktur des Vokalparts vorgegeben ist. Sie
entfaltet sich in den rein instrumentalen Partien zu komplexeren
Strukturen, die jedoch eine überwiegend heterophone Grundlage haben,
d.h. aus der simultanen Variation einer Hauptmelodie entstehen. Auch in
den als Klangschichtungen konzipierten Passagen bleibt die Musik immer
textorientiert, d.h. sie liefert eine klangliche Kommentierung der
Rezitation, unterstreicht mit klanggestischen Mitteln Charakter und
Emotionen der Figuren sowie die szenische Atmosphäre. Auch hierin ist
sie dem musikalischen Ausdrucksstil des japanischen
Bunraku-Puppentheaters verpflichtet.
Heinz-Dieter Reese
Choreographie und Tanz: Henrietta Horn
Dirigent: Robert HP Platz
Sopran: Sarah Leonard
musikFabrik:
Flöte, Altflöte: Helene Bledsoe
Klarinette, Es-Klarinette: Ib Hausmann
Klavier: Ulrich Löffler
Schlagzeug: Thomas Oesterdiekhoff
Violine: Tomoko Kiba
Viola: Axel Porath
Violincello: Dirk Wietheger
Folkwang Tanzstudio:
Shogun: Francesco Pedone
Puppenspieler Shogun: Tanja Berg
Puppenspieler Shogun: Franko Schmidt
Maler: Manuel Quero
Puppenspieler Maler: Gabrio Gabrielli
Tochter: Mu-Yi Kuo
Puppenspieler Tochter: Ulrike Reinboldt
Kostüme: Anne Bentgens
Lichtdesign: Reinhard Huber
Spieldauer: 68 Minuten
Uraufführung: 19. Oktober 2002, Hamburg
Gefördert durch: Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW,
Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein
Westfalens, Fonds Darstellende Künste e.V. aus Mitteln des Bundes
„Eshi – der Maler” ist eine Koproduktion des Folkwang Tanzstudios, der musikFabrik und des NDR – das neue Werk.
Pressetexte
Japanische Tanzoper beim „neuen werk”
Kieler Nachrichten, 22. Oktober 2002
Skepsis
gegenüber getanzten Konzerten erweist sich in den meisten Fällen als
berechtigt. Doch die Kooperation zwischen Folkwang Tanzstudio aus Essen und dem
Düsseldorfer Ensemble musikFabrik entpuppte sich bei der Eröffnung der
NDR-Konzert Reihe „das neue werk“ als hochprofessioneller Glücksfall.
Henrietta
Horn verleugnet in keinem Moment die konzertante Situation, spielt sie vielmehr
aus und entspinnt auf engem Raum dennoch einen dichten, sich intensiv
steigernden Dialog zwischen Klang- und Tänzer-Körpern. Sie transformiert –
analog zum japanischen Theater und der neutönerischen Komposition – die Fabel
aus der Muramachi-Zeit in streng stilisierten, doch expressiven Ausdruckstanz.
Aus starren Posen, durch die Musik und ihre Gefühle beseelt, wechseln die
Figuren in gestische Bewegungen, deuten in spannungsvollen Gruppierungen mit
den Musikern das Drama szenisch an.
Der NDR lässt die japanischen Puppen tanzen
Lutz Lesle – Die Welt, 22. Oktober 2002
Vom
japanischen Puppentheater inspiriert, lässt Choreografin Henrietta Horn sieben
Tänzerinnen und Tänzer die grausige Geschichte pantomimisch erzählen, während
die Sängerin Sarah Leopard die Dialoge samt fürstlichem Höllengelächter
eindringlich auf Japanisch rezitiert. Sinnreich und grandios die Verdopplung
der marionettenhaften Handlungsfiguren durch quasi holzgeschnitzte schwarz
gekleidete Puppenspieler. Sie verkör pern die widerstreitenden Kräfte in der
ihnen zugeordneten Figur. Sie spielen Advokat des Teufels oder Schutzengel,
können aber auch Zielscheibe der Grausamkeit werden. Doch was wäre das ganze
Tanzdrama ohne das famose Septett der rheinisch-westfählischen „musikFabrik”
unter Leitung von Robert HP Platz!
Ein fein geflochtenes Netz
Henrietta Horn choreographiert für die Oper Eshi – der Maler
Irmela Kästner – tanzdrama, 6/2002
Die
Mythenwelt aus dem mittelalterlichen Japan ist in der zeitgenössischen Musik
und im Theater des Landes bis heute lebendig, nicht zuletzt weil die japanische
Musik und die damit verbundene Theaterkunst zu jener Zeit als sehr weit
entwickelt galten. Diese Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne ist
durchaus ein Signet japanischer zeitgenössischer Kunst. Eine ungleich größere
Herausforderung stellt sich dagegen, wenn sich in diesem Spannungsfeld
zusätzlich Ost und West begegnen, wie jetzt in Hamburg in der NDR-Reihe »das
neue werk« zum Thema »Labyrinth Mythos«. Das Folkwang Tanzstudio und das
Ensemble musikFabrik brachten unter der musikalischen Leitung von Robert HP
Platz Eshi – der Maler, eine Kammeroper des zeitgenössischen japanischen
Komponisten Akira Nishimura, mit der Choreographie von Henrietta Horn zur
Aufführung.
Sensibel,
dabei mit künstlerisch überzeugender und selbstbewußter Handschrift, ist der
Choreographin hier ein bedeutender Schritt auf ein in vielfacher Hinsicht
grenzüberschreitendes Terrain gelungen. Nishimura, der sich in seinem Werk an
der Tradition des Banraku-Theaters orientiert, wollte im Tanz unbedingt den
Charakter dieses japanischen Figurentheaters erhalten wissen, obgleich er
selbst in der Orchestrierung seines 1999 komponierten Werks ein ausschließlich
westliches Instrumentarium ins Spiel bringt.
Die
Puppenspieler sind es, die den Figuren eine Seele einhauchen. Sarah Leonards
weit gefächerter Sopran verleiht ihnen hier eine Stimme. Horn plazierte ihre
Tänzer inmitten des siebenköpfigen Orchesters, inszenierte die Musiker in
diesem minimalistischen und dennoch hochdramatischen Kammerspiel gleich mit.
Die zugrundeliegende Geschichte aus dem Kioto des 15. Jahrhunderts um den
schaurigen Herrscher Shogun, den fanatischen Künstler Yoshihide und dessen
Tochter, die von Shogun begehrt und vom eigenen Vater schließlich für die Kunst
qualvoll geopfert wird, mutet da erst mal recht exotisch an. Horn extrahiert
aus diesem Geflecht von Willkür, Macht und dem Streben der Kunst nach
Wahrhaftigkeit und Schönheit spannungsvolle Raumbilder, findet eine stimmige
Balance zwischen Abstraktion und dramatischer Ausformung der Charaktere in typisierenden
Bewegungsmotiven. Dem mächtigen Shogun (Francesco Pedone) stellt sie hier zwei
Spieler zur Seite, die ihm mitunter zu weit ausholenden Sprüngen verhelfen. Zu
dritt bilden sie ein Triumvirat der Macht, das die Choreographin gleich zu
Anfang etabliert. Breitbeinig sitzt Shogun erhöht im Hintergrund, während seine
Spieler (Tanja Berg, Franko Schmidt) zwischen den Musikern seine kantigen
Bewegungen und Gesten spiegeln.
Die
Beziehung zwischen den Figuren und ihren Spielern nutzt Horn mit ihren Tänzern
als Chance neu gewonnener interpretatorischer Freiheit. Diese traditionell
zwischen Puppe und Führer geschlossene Kluft öffnet sie hier für vielfältige
Interaktionen, die Intentionen und innere Konflikte verstärken und nach außen
tragen. Wundervoll gelingt ihr das in der Figur des Malers (Manuel Quero),
dessen Führer zum Knecht wird, den er quält und prügelt, um zur eigenen
Wahrheit zu gelangen. Innere Zwiegespräche sind es, in denen sich
Seelenlandschaften offenbaren und die mythische Qualität des Stoffs einen
zeitgenössischen Ausdruck findet. Zur höchsten Abstraktion und Transzendenz
dieser Sprache findet Horn in der Darstellung der Tochter, gespielt von der
japanischen Tänzerin Mu-Yi Kuo. In sich selbst zurückgezogen, sind es anfangs
fein geflochtene Armgesten, die sich hineinwinden in ein Netz aus fliehenden
Streicherklängen. In einem fast unmerklichen Zittern ihres Körpers, als sie im
Höllenfeuer verbrennt, erreicht das Drama seinen Höhepunkt.
Die Kooperationsbereitschaft des Orchesters erlaubte es der Choreographin, die Musiker diagonal oder frontal zum Publikum; sitzend oder stehend zu arrangieren. Die Formationswechsel werden somit Teil der Choreographie. Virtuos und zugleich sparsam, ist das Orchester in Nishimuras Komposition oft nur ein Instrument, das mit der Sopranstimme in dem sehr transparent wirkenden Gebäude den Faden der Geschichte weiterspinnt, wobei die Sängerin sich außerhalb des Geschehens befindet. In der beeindruckend konzentrierten Darstellung ihrer Tänzer gelingt es Henrietta Horn, dem Mythos ein neues Gesicht zu geben.